
Alonette
Variationen von Sepiatönen schimmern auf, wenn Anett Tamm die ersten Saitenklänge ihres Debütalbums „Compass“ (2025) anschlägt. Es ist Sommer, irgendwann im Gestern. Die Singer-Songwriterin lehnt an einer Birke im Schatten, der Duft von geschnittenem Gras liegt in der Luft. Als Alonette verhandelt sie den Existenzialismus verschwendeter Tage wie ein idyllisches Rollenspiel im Kopf eines Kindes. Folk-Pop geht da Hand in Hand mit Vokalharmonien in Hommage an den Sound der Siebziger und doch klingen die überraschenden Twists und Turns ihrer Lieder unaufgeregt experimentell, abenteuerlustig, ja geradezu modern. Vielleicht liegt das auch an dem erlesenen Cast von Gästen der estnischen Musikszene, der Alonette hier zur Seite steht – von Erki Pärnoja bis Johanna Vahermägi. An anderen Stellen atmen Stücke wie „Trouble“ oder „Ceramic Tiles“ eine herbstliche Kühle, die Bilder von nordischen Nadelwäldern beschwört und das Gefühl von Ankunft, von Heimat und Geborgenheit unaufdringlich zu vermitteln weiß. „Compass“ ist deshalb nicht nur eine unerhört gelungene erste Studioarbeit, sondern auch der Beginn einer der interessantesten künstlerischen Laufbahnen im Estland der Gegenwart.